Die imperiale Lebensweise und Popkultur – leider (nicht) geil

Autor: Jannis Eicker

Einleitung

Der Begriff der ‚imperialen Lebens- und Produktionsweise‘ ist schon recht sperrig. Selbst die ‚Väter‘ des Begriffs, Ulrich Brand und Markus Wissen, sprechen deshalb in der Regel einfach von der ‚imperialen Lebensweise‘ (vgl. Brand/Wissen 2011). Aber natürlich kann sich auch darunter kaum jemand ohne weitere Hinweise etwas vorstellen. Und auch wenn wir in unserem Dossier Auf Kosten anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert versucht haben, den Begriff durch Anwendung auf verschiedene Lebensbereiche möglichst lebensnah auszubuchstabieren, bleibt die Definition doch recht theorielastig. Dies liegt auch daran, dass wir es aus Kapazitätsgründen nicht geschafft haben, das Thema der Pop(ulär)kultur in diesem Rahmen anzusprechen.

Dieser Text stellt den Versuch dar, die Basis zum Füllen dieser Lücke zu legen. Dafür werde ich mich – wie der Titel es schon ankündigt – mit dem Lied Leider geil der Elektro-Hip-Hop-Band Deichkind auseinandersetzen sowie mit Liedern der Hip-Hop-Gruppe Antilopen-Gang. Die theoretischen Exkurse mögen mir verziehen werden – auch das kommt mir in unserem Dossier insgesamt zu kurz. Aber zunächst ein paar einführende Worte zur ‚imperialen Lebensweise‘.

Hintergrund (für alle, die das Dossier nicht gelesen haben)

Das Konzept der ‚imperialen Produktions- und Lebensweise‘ ist im Grunde die Antwort von Brand und Wissen (2011: 2) auf die Frage, warum es einerseits gesellschaftlich breit akzeptiert ist, viele aktuelle Entwicklungen als Krise zu bezeichnen (bspw. den Klimawandel), es andererseits nicht zu einer tatsächlichen Verhaltensänderung (in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) kommt. Tatsächlich scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein: Die „herrschaftliche[n] Produktions-, Distributions- und Konsummuster, die tief in die Alltagspraktiken der Ober- und Mittelklassen im globalen Norden“ (ebd.) eingelassen sind, scheinen sich im Globalen Norden immer weiter zu verfestigen, aber auch im Globalen Süden auszubreiten. Damit wäre aber zunächst einmal nur ‚Lebensweise‘ erklärt. Als ‚imperiale‘ kann sie bezeichnet werden, da „sie einen prinzipiell unbegrenzten – politisch, rechtlich und/oder gewaltförmig abgesicherten – Zugriff auf Ressourcen, Raum, Arbeitsvermögen und Senken andernorts voraussetzt.“ (ebd.: 5) Die ‚imperiale Lebensweise‘ beruht damit notwendiger Weise auf Exklusivität (vgl. ebd.: 6). Denn die Biosphäre kann nur begrenzt zu Ressourcen und Senken umgewandelt werden. Dies führt zu einem Gerechtigkeitsproblem, da den Ländern des Globalen Südens in manchen Bereichen schon jetzt nicht mehr so viele Ressourcen und Senken verbleiben, wie die Länder des Globalen Nordens bereits er- bzw. ausgebeutet haben. Ein solcher Widerspruch bedeutet für Kapitalismus wie ‚imperiale Lebensweise‘ gerade keine Anomalie, sondern vielmehr ein Wesensmerkmal. Die Erklärung der relativen Stabilität stellt v.a. auf drei Aspekte ab: Erstens die Normalitätsorientierung etablierter Vorstellungen von einem guten Leben (vgl. ebd.: 9) bzw. der ‚Alltagsverstand‘ (s.u.), zweitens die Ausrichtung bestehender Institutionen und Strukturen und drittens Scheinlösungen, die das Gefühl vermitteln, es tue sich doch etwas (vgl. Dossier).

Die Hegemonie der imperialen Lebensweise fußt (auch) auf Popkultur

Gerade der erste Punkt, also die Vorstellungen von einem ‚guten Leben‘, die auch den Alltagsverstand maßgeblich bestimmen, sind ein Aspekt, der m.E. noch unterbeleuchtet ist. Wie genau werden solche Vorstellungen gesellschaftlich (re-)produziert? Anstelle einer theoretischen Antwort, will ich mich zunächst mit Beispielen begnügen. Ein für mich – sowie für den Großteil unseres Autor*innen-Kollektivs – herausstechendes Beispiel ist das Lied Leider geil. Es passt so gut zu unserem Dossier, dass wir den Ausspruch ‚leider geil‘ fast als Titel gewählt hätten. Unser Eindruck ist, dass sich die imperiale Lebensweise im Alltagsverstand reproduziert, weil sie ‚leider geil‘ ist. Was wir damit meinen, lässt sich am Beispiel der Automobilität ausdrücken.

Fette neue Karre? Leider geil!

Dass sich die Automobilität trotz all der mit ihr verbundenen Gefahren, nicht nur für die Umwelt und die Autofahrer*innen selbst, sondern auch für Unbeteiligte, seit Jahrzehnten als bevorzugte Fortbewegungsart in Ländern wie Deutschland hält, liegt natürlich nicht allein am Alltagsverstand bzw. den Vorstellungen von einem guten Leben. Vielmehr spielen hier gerade auch Institutionen, Infrastrukturen und gerade hinsichtlich der Zukunft (Stichwort: E-Autos) auch Scheinlösungen eine große Rolle. Außerdem schlagen sich diese Faktoren natürlich in Form von Erfahrungsspuren auch wieder im Alltagsverstand nieder (vgl. Dossier). In diesem Sinne kann der Alltagsverstand vielleicht auch als Kristallisationspunkt aller Faktoren betrachtet werden.

Der Alltagsverstand als ein solcher Kristallisationspunkt findet Ausdruck in dem besagten Lied. Zur Automobilität bspw. heißt es dort:

„Autos machen Dreck,
Umwelt geht kaputt,
doch ne fette neue Karre ist leider geil.“

Die ersten beiden Zeilen drücken – wenn natürlich verschleiert und verkürzt – den Ansatz der Imperialität der Automobilität aus. Das Problembewusstsein ist also zumindest ansatzweise gegeben. Das bringt schließlich auch der Zusatz ‚leider‘ in ‚leider geil‘ zum Ausdruck. Dabei ist allerdings Automobilität alleine nicht ausreichend, um dieses Zertifikat zu erhalten. Vielmehr sind es auch die Größe (vermutlich mit einem hohen Benzinverbrauch einhergehend) und die Neuheit (weist auf den eigenen Reichtum hin), die das Auto erstrebenswert machen. Es liegt damit vollkommen im Mainstream des ‚höher, weiter, schneller‘, also des Wachstumsparadigmas, das unsere Gesellschaft bestimmt.

Aber durch das rotzige ‚leider geil‘ sowie die Vermeintliche Ablehnung von Arbeitsmoral oder anderer eher konservativ-neoliberaler Werte stellt sich Leider geil dem Anschein nach gegen den Mainstream, der vom Individuum sinnlose (weil entfremdete) Verausgabung verlangt. Der Song möchte sich vermutlich als Auflehnung gegen eine ‚Political Correctness‘ verstanden wissen, die angeblich überhand genommen habe. (Dieser Text wird vielleicht sogar als Bestätigung dieser These herangezogen.) Das Interessante dabei ist, dass das Aufbegehren gegen eine unterstellte Bevormundung hier dazu führt, dass Deichkind selbst eine Norm setzt: Geil kann nur noch sein, was nicht der ‚Political Correctness‘ entspricht bzw. was imperiale Ausmaße annimmt. Diese leicht überspitzt formulierte Interpretation wird verständlicher, wenn man sich den Refrain anhört:

„Tu doch nicht so,
du magst es doch auch,
ich bin ein Teil von dir.
Guck dich doch um,
sieh sie dir an,
sie sind genauso wie wir“

Hier findet eindeutig eine Naturalisierung der benannten Denk- und Handlungsweise statt, die das Abweichen von dieser als unnatürlich stigmatisiert. Wer nicht ‚leider geil‘ handelt, handele also gegen ureigene Interessen.

Leider übersieht Deichkind, dass Interessen immer nur historisches Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse sind und somit immer auch dem Wandel unterlegen sind. Und das ist Grund zur Hoffnung.

Das Potenzial gegenhegemonialer Popkultur

Die deutsche Musikszene besteht zum Glück nicht allein aus Deichkindern. Gute Musik und gute Texte schließen sich nicht aus. Um nur ein Beispiel aufzugreifen, an dem sichtbar wird, wie die imperiale Weise auf pop(ulär)kulturelle Weise kritisiert werden kann, wende ich mich der 2009 gegründeten Hip-Hop-Gruppe Antilopen Gang zu. Auch bei ihnen findet sich eine Umschreibung dessen, was als imperiale Lebensweise beschrieben werden kann. So heißt es bspw. in dem Song Ölsardinenindustrie: „Im Grunde will ich lieber Mario Cart auf dem Super Nintendo spielen, als den Delphin-Anteil auf meiner Thunfisch-Pizza wissen“.

In dem Lied So ungefähr geht es u.a. um die Fähigkeit des Menschen, die eigene Vernunft sowohl konstruktiv aber eben auch – Beispiel Atomwaffen – destruktiv einzusetzen. Warum machen Menschen das? Dies sei einfach „so unbeschwert – ich gebe kein‘ Fick, lese kein Buch, denke nicht nach, alles ist gut.“ Fast schon gramscianisch heißt es im selben Lied auch:

„Erst entdeckten wir den Tabak,
dann erfanden wir das Feuer,
Ackerbau und Industrie,
jetzt ist rauchen nicht so teuer,
schufen riesige Maschinen,
ein paar Legebatterien
und eines Tages ist die ganze Menschheit dämlich und zufrieden.“

Solange es uns ermöglicht wird, günstig zu konsumieren, begehren wir also nicht auf. Dies liegt ihrer Meinung nach nicht zuletzt an der Kulturindustrie. Generell werfen sie (ebenfalls in So ungefähr) den Medien, aber auch den Menschen allgemein vor, sich:

„Nur darauf zu konzentrieren,
ein Fäkaltheaterstück zu inszenieren.
Hauptsache es wird auf die Bühne gekackt und jemand steckt sich Chilischoten in die Nasenlöcher.
Herzlich willkommen im kulturellen Aschenbecher.“

Mit anderen Worten: Die momentan hegemoniale Pop(ulär)kultur ist nicht gerade dafür förderlich, sich mit den tatsächlichen Problemen auseinanderzusetzen. Doch was in So ungefähr teilweise sehr voluntaristisch klingt – nämlich so, als sei es schlicht die freie Entscheidung der Menschen, sich ‚verdummen‘ zu lassen – wird in Ölsardinenindustrie um einen sehr wichtigen Aspekt der Stabilität der imperialen Lebens- und Produktionsweise ergänzt: nämlich unsere Verstricktheit in Verhältnisse, aus denen es relativ schwer ist, sich zu befreien, selbst wenn wir wollten. Um dies nachvollziehen zu können, empfehle ich, sich den gesamten Text des Songs anzuhören – hier aus Platzgründen nur ein Auszug:

„Kontraste machen Leute,
Kleider macht der Schneider
Und ausgebeutete Kinder
Macht mit Sicherheit auch irgendeiner
Wahrscheinlich ausgebeutete Eltern,
oder der Hai aus dem Aquarium
Allerdings machen die sich gegenseitig,
ihre Rollen entstehen in Wechselwirkung
Nur wechseln sie nicht,
zumindest nicht in absehbarer Zeit“

Die Antilopen Gang ist damit ein gutes Beispiel dafür, wie die Problematisierung der imperialen Lebens- und Produktionsweise in ein in der Popkultur anschlussfähiges Format gebracht werden kann. Damit vermitteln sie Inhalte, die sonst eher in akademischem Jargon oder mit erhobenem Zeigefinger ausgesprochen werden, auf eine sehr ansprechende Weise.

Selbstverständlich ist die Antilopen Gang damit nicht allein. Gerade was den Kampf gegen Nationalismus und Rassismus angeht, gibt es eine Fülle guter Musik. Und auch in anderen Bereichen der Pop(ulär)kultur ist dies der Fall. Doch leider bewegen wir uns damit – gerade hinsichtlich der imperialen Lebensweise – in einer krass marginalisierten Position, wie der Erfolg von Leider geil klar zeigt (auch wenn das Hören des Liedes natürlich keine inhaltliche Zustimmung ausdrücken muss). Zumal mir auch bei der Antilopen Gang kein Lied bekannt ist, dass eine Art positive Alternativversion zu Leider geil darstellt. (Ich lasse mich hier gerne eines Besseren belehren!)

Es gibt also noch viel zu tun, um die imperiale Lebens- und Produktionsweise zurückzudrängen. Dieser Text sollte zeigen, wie wichtig dabei der Alltagsverstand ist und dass dieser gerade auch über vermeintlich unpolitische Aspekte des alltäglichen Lebens geprägt wird. Die Antilopen Gang zeigt, dass auch in der Popkultur ein gegenhegemoniales Projekt verfolgt werden kann. Natürlich will ich nicht vorschlagen, dass wir alle anfangen, Hip-Hop zu machen. Das würde – zumindest in meinem Fall – vermutlich ziemlich peinlich enden. Aber wir sollten wenigstens versuchen, auch auf dem Terrain der Popkultur gegenhegemoniale Bündnisse zu schmieden, solche aktiver zu unterstützen und auch stärker in theoretischen Arbeiten miteinzubeziehen.

Literatur

Brand, Ulrich/ Wissen, Markus (2011): Sozial-ökologische Krise und imperiale Lebensweise. Zu Krise und Kontinuität kapitalistischer Naturverhältnisse. In: Demirović, Alex/ Dück, Julia/ Becker, Florian/ Bader, Pauline (Hg.): VielfachKrise im finanzdominierten Kapitalismus. Hamburg: VSA Verlag, S. 78-93, online unter: http://www.researchgate.net/publication/267978661 (Seitenzahlen beziehen sich auf die Online-Version).

Brand, Ulrich/ Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. München: oekom Verlag.

I.L.A.-Kollektiv (2017): Auf Kosten anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert. München: oekom Verlag.

Songtexte

Antilopen Gang (2012): Ölsardinenindustrie, URL: https://genius.com/Danger-dan-olsardinenindustrie-lyrics (abgerufen am 15.08.2017).

Antilopen Gang (2014): So ungefähr, URL: https://genius.com/Nmzs-and-danger-dan-so-ungefahr-lyrics (abgerufen am 15.08.2017).

Deichkind (2012): Leider geil, URL: https://genius.com/Deichkind-leider-geil-lyrics (abgerufen am 15.08.2017).